Temperament gilt als einer der Grundbausteine für die Entwicklung der Persönlichkeit. Ob das Temperament sich dabei eher aus den Sternzeichen, dem chinesischem Kalender oder den Genen ableiten lässt, lasse ich hier offen. Für mich schlüssig sind die 4 Temperamenttypen von Kanik-Urban (1995) – zumindest helfen diese vier Typen schon ziemlich weiter, bei der Frage, wie kann ich mein Kind in der Schulzeit optimal unterstützen.

Kanik-Urban ordnet Kinder generell den folgenden zwei Hauptgruppen zu:

Wir-Experten; haben ein ausgeprägtes Drang dazu zu gehören

Ich-Experten; haben einen ausgeprägten Drang zur Autonomie

Wir-Experten sind angetrieben durch den Wunsch nach „Zugehörigkeit“. Ihre Mittel zur Zielerreichung sind Einfühlung, Identifikation und ein ausgeprägtes Potential der Anpassung. Bei den Wir-Experten unterscheidet Sie dann noch mal in die Subtypen:

Das Seelchen-Kind oder die Kunst der Teilhabe
Seelchen-Kinder versuchen sich durch ihre Gefühle in der Welt zurechtzufinden. Sie nehmen Anteil an den Freuden und Leiden der Mitmenschen, können sich gut einfühlen und erwecken so positive Reaktionen in anderen Menschen.
„Seelchen-Kinder brauchen nahe Beziehungen, und sie sind bereit, viel in ihre Beziehungen zu investieren. Das Kind, das sein Fühlen als Orientierung benützt, will gefallen und ist begierig auf Rückmeldung, daß es wertvoll ist und geschätzt wird. Es erweist anderen Menschen Gefälligkeiten aller Art; pflückt Blumen, schreibt eine Geschichte oder denkt sich etwas Originelles und sehr Persönliches für den anderen aus.“ (Kaniak-Urban 1995, S.149)
Diese Kinder lieben Geschichten und können sich gut mit den Helden identifizieren. Sie versinken in Filmen und Theateraufführungen, so daß diese auch eine seelische Belastung sein können. Außerdem träumen sie gerne und tauchen in Phantasiewelten ab, in denen sie auch Phantasiefreunde haben. Aufgrund des hohen Stellenwertes von Beziehungen sind Seelchen-Kinder eng an ihre Familie gebunden, und nehmen Freundschaften ernst. Unter Störungen in der Familie (Scheidung, Umzug, Geburt eines Geschwisters,…) leiden sie daher sehr.
In der Schule werden Seelchen-Kinder selten auffällig, da sie sich durch ihre Kommunikationsfähigkeit und ihr gutes Sozialverhalten in das Schulsystem einfügen.

So süß und niedlich diese Kinder auch sind – besteht die größte Herausforderung darin – sie zu befähigen „lauter“ werden zu lassen. Sie brauchen den Mut sich zu äußern, nicht nur beim Theaterspiel sondern auch im Unterricht. Ihre Haltung als Eltern sollte genau das Bedürfnis des Kindes nach positiver Rückmeldung erfüllen, loben Sie aber ernsthaft und nicht zu überschwänglich. Wichtige Elemente des Übens sind:

  • Schau dem Frager/Lehrer in (zwischen)die Augen
  • Halte den Blickkontakt
  • Sprech laut und kräftig
  • Sag auch mal NEIN und lernen Sie ein NEIN zu respektieren

Meines Erachtens sollten sie mit diesen Kindern, folgende Dinge üben

Das Pflicht-Kind oder die Kunst, sich nützlich zu machen
Pflicht-Kinder wünschen sich klare Orientierungen und versuchen Anforderungen so zu erfüllen, wie es die Erwachsenen erwarten, um damit ihren Zugehörigkeitswunsch zu erfüllen. Die Aufgabe der Pflichterfüllung steht für sie im Vordergrund.
„Das Pflicht-Kind versucht sein Bedürfnis nach Zugehörigkeit auch dadurch zu befriedigen, daß es Dienste für andere ausführt und sich nützlich macht. Diese Kinder sind zufrieden, wenn man ihnen fest umschriebene Aufgaben überträgt; sie sind glücklich über die Anerkennung, die aus solcher Tätigkeit erwächst, die sie zuverlässig ausführen. Werden die gelobt. fühlen sie sich als nützliche Mitglieder einer Gemeinschaft, und ihr Bedürfnis nach Anpassung und Zugehörigkeit ist befriedigt.“ (Kaniak-Urban, 1995, S.153)
Sie legen sehr viel Wert auf Familientraditionen und fühlen sich auch für das soziale Miteinander in der Familie verantwortlich. In der Schule arbeiten sie gern nach vorgegebenen Schemata und fühlen sich überfordert, wenn Kreativität von ihnen gefordert wird.

Solche Kinder kann man eigentlich nicht genug haben und schön, wenn Sie eines von diesen seltenen Exemplaren abbekommen haben (Hier spricht der Neid eines Vaters von ausgeprägten Seelchen und Abenteuer- Kiddies). Kreativität und Innovationsfähigkeit sind aber zwei Eigenschaften, die immer zentraler in einer „Wissensgesellschaft“ werden – zwar ist es zu früh mit solchen Kindern „Kreativitätstechniken“ zu üben und zu proben. Aber mal die eine oder andere Form von Kreativitätstechniken beim üben anzuwenden sollte nicht schaden. Auch diese Kinder wollen Anerkennung und Lob und auch hier gilt – loben Sie die Fortschritte und nicht die Ergebnisse. Machen Sie ihrem Kind klar das der „Lernfortschritt“ wichtig ist und nicht das „Lernergebnis“ in Form einer Note. Hier eignet sich vor allem der Einsatz von differenzierendem Übungsmaterial – Dominos, Bandolonios, Memos und Gucklochtrainer bieten eine klare „Methodik“ und sind aufgrund der inneren Differenzierung (leicht bis immens schwer) sehr gut für diese Kinder geeignet.

Die zweite Hauptgruppe der Ich-Kinder ist angetrieben durch das Bestreben nach Autonomie. Auch hier hat Kanik-Urban wieder zwei Subtypen beschrieben:

Das Abenteuer-Kind oder die Kunst der Erfahrung
Abenteuer-Kinder nehmen ihre Umwelt durch die Sinne wahr. Sie sehen, schmecken, tasten, riechen und hören. „Auch draußen spielen sie gerne in Sand und Schlamm und kommen dann verdreckt und mit Löchern in den Hosen nach Hause.
Ihre Welt bringen sie auch ins Haus, und ihr Zimmer kann dann einem Warenlager an Kuriositäten gleichen, vom rostigen Nagel bis zum Vogelskelett, deren Wert nur sie selbst kennen.“ (Kaniak-Urban, 1995, S.157) Sie sind immer auf der Suche nach Abenteuern, die sie erleben können, und können darüber auch Aufgaben vergessen, die sie erledigen wollten oder sollten. Viele haben einen starken Bewegungsdrang und lieben daher Spiele im Freien und Sport, aber auch Bewegungen zu rhythmischer Musik. Diese Kinder haben Interesse an dem tun an sich. „Der Begriff des Übens oder trainierens ist bei diesen Kindern nicht angebracht. Sie trainieren nicht, um ihre Leistung zu verbessern und ein fernes Ziel zu erreiche, vielmehr gehen sie in der Gegenwart in ihren Tun auf und verbessern dann als ‚Abfallprodukt‘ gleichsam nebenbei ihre Leistung.“ (Kaniak-Urban, 1995, S.158) In der Schule fallen Abenteuer-Kinder häufig unangenehm auf, da sie ständig am aktiven Tun interessiert sind. Im Unterricht suchen sie Kontakt zu anderen Kindern oder werden in anderer Weise außerhalb des Unterrichtsgeschehens aktiv.

Das sind die Kinder, die ich persönlich besonders mag – eines davon auch mein eigen nennen darf (durfte – ist mittlerweile den Kinderschuhen entwachsen) und dennoch sehr froh bin, dass ich solche Temperamente nur noch stundenweise bei meinen Schwager genieße. Auch solche Kinder werden fast von alleine lernen – mehr noch das Lernen an sich als Erleben lieben. Trainiert werden sollten Grundfertigkeiten der „Ordnung“ :o)) aber wie, wenn solche Kinder nicht angetrieben werden, durch „Gefallen-Wollen“.

Das Schlaukopf-Kind oder die Kunst, durch Wissen Kontrolle zu erhalten
Schlaukopf-Kinder versuchen sich in der Welt mit Hilfe ihres Intellekts zu orientieren. Sie sind ständig auf der Suche nach Erklärungen und stellen unnachgiebig Fragen. Meist sind es ernste und sehr selbstkritische Kinder, die den Anspruch haben sich zu verbessern, nicht weil andere, sondern weil sie selbst sich dieses Niveau stellen. Sie wollen Zusammenhänge verstehen, um die Welt zu verstehen, ihr Verhalten planen zu können und damit die Kontrolle bei sich zu behalten.
„Kinder dieses Typs erwecken den Eindruck, als ob sie ständig nach der Formel suchten, mit der sie die Welt und ihr Funktionieren darin wahrnehmen, erklären und prognostizieren können. Ihr Lebensstil macht sie zu geborenen Forschern, vor allem auf naturwissenschaftlichem Gebieten aber auch zu Computerspezialisten, die neue Systeme kreieren.“ (Kaniak-Urban, 1995, S.164)
Diese Kinder leben nicht in Phantasie- oder Abenteuerwelten, sondern in funktionierenden Welten. Da Gefühle wenig planbar sind versuchen Schlaukopf-Kinder durch Nichtbeachtung ihrer Emotionen trotzdem die Kontrolle zu behalten. Sie halten eher Abstand zu anderen Menschen und können sich daher auch manchmal einsam fühlen.

(Die kursiv gefassten Textfragmente sind folgender Quelle entnommen:
http://www.meike-lindemann.de/meike/index.htm)