Der folgende Beitrag aus der Praxis bezieht sich insbesondere auf die Beiträge (aus Sicht der Forschung) Teil 2 und Teil 3. Es geht um die Anwendung der Zwicky Box und die Definition von „Schülertypologien“.
Mein Dilemma ist mir klar. Ich sehe nicht, wie ich das Ruder für die nächsten drei Jahre noch herumreißen kann. Ein Satz Verbrauchsmaterial für die 2. Klasse ist schon bestellt, also bleibt alles so, wie es. Vielleicht aber auch nicht? Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Warum nicht die Beratung aus der Wissenschaft, von der große und erfolgreiche Firmen profitieren, für meine kleine Lernwelt in Anspruch nehmen. Innovative Ansätze reizen mich. Arbeitsforschung trifft Grundschulpraxis, das ist spannend. Ich bin bereit!
Der Begriff der „seriellen Unikatfertigung“ erscheint mir als Widerspruch in sich und hat mich erst einmal erschreckt. Kinder als Unikate in Serie? Als gefertigte Unikate? Diese Begrifflichkeiten! Auch der Begriff der „Zwicky-Box“ assoziiert in mir zu allererst eine „Zwickmühlen-Kiste“. Interessant, den Gedanken zuzulassen, dass diese seltsamen Instrumente mir bei der Lösung meiner Herausforderungen helfen könnten.
Die Zielformulierung entspricht schon mal meinem pädagogischen Denken und Handeln. Es ist meine Leidenschaft, Lernwelten zu gestalten, in denen das Lernen gelernt werden kann. Die aktuellen Umstände erfordern eine Modifikation meiner Methoden als Lehrerin und Lerncoach. Vielleicht erfahre ich eine echte Erweiterung meines Horizontes. Ja, ich bin bereit!
Das Denken in Typ A und Typ F fällt mir naturgemäß schwer. Ich habe verinnerlicht, das Kind immer als „Ganzes“ zu sehen, seine Individualität zu begreifen und es nicht in vorgefertigte Schubladen zu packen. Also sperrt sich eigentlich alles in mir gegen diese Art des Denkens. Mein persönlicher wissenschaftlicher Berater, im Folgenden „mpwB“ (Bitte flüssig lesen und aussprechen! ;O)) genannt, brauchte viel Überzeugungskraft und Geduld, bis ich bereit war, ein Schubladendenken nach Leistungsniveaus und Leistungsbereitschaft zu wagen.
Um mir das Denken in Typen zu erleichtern, brauche ich – genau wie meine Kinder – Bilder, um zu verstehen. Ziehen wir die Tiere Afrikas heran.
Typ A – Die Geparden
Den Typ A nenne ich die Gruppe der Geparden. In meinem Alltag sind das diejenigen Kinder, die schon fertig sind, wenn andere noch nicht angefangen haben. Einige von ihnen haben ihre Fibel über ein langes Wochenende schon jetzt abgearbeitet. Getreu ihrer Arbeitshaltung, blitzschnell wegschaffen, jedoch leider eher flüchtig und oberflächlich. Nachbesserungen werden unwillig absolviert. Zusatzangebote arbeiten Geparden rasend schnell ab. Jegliche Vertiefungsmaterialien haben quasi keinerlei Halbwertzeit. Bei der Kontrolle der Ergebnisse stelle ich mir immer wieder die Frage, wie ich diese Kinder dazu bringen kann, mit emotionaler Beteiligung, ruhiger Stringenz und kritischer Selbstkontrolle an das Material heranzugehen.
In Bildern gesprochen:
Geparden sind immer auf der Pirsch, impulsiv und spurtstark aber für die Langstrecke häufig nicht zu gebrauchen.
Typ D – Die Löwen
Typ D ist vom Leistungsniveau mit Typ A absolut vergleichbar. Auch diesen Kindern fällt das Lernen leicht. Sie arbeiten ordentlicher und strukturierter als die Geparden, brauchen daher etwas länger als diese, sind aber immer noch sehr viel schneller mit ihrem täglichen Pensum durch, als der Rest der Klasse. Zusätzliche Aufträge erledigen diese Kinder nur unter Druck und äußerst unwillig. Lieber ruhen sie sich in ihrer freien Zeit aus, hängen ihren Gedanken nach oder beobachten das Geschehen in der Klasse. Bei diesen Kindern frage ich mich immer wieder, wie kann es sein, dass ich sie mit meinem vielfältigen Zusatzangeboten nicht erreichen kann? Wie kann ich diese Kinder motivieren, das Beste aus sich herausholen und ihre PS auf die Straße zu bringen?
In Bildern gesprochen:
Satte Löwen sind zufrieden. Sie lieben es, faul herumzuliegen und werden sich auch erst dann wieder in Bewegung setzen, wenn sie Hunger verspüren.
Typ B – Die Giraffen
Die Gruppe der Giraffen umfasst diejenigen Kinder, die das tägliche Pensum bequem und für mich zufriedenstellend bis sehr gut erledigen. Sie sind in der Lage kompromissbereit zu zweit und in der Gruppe zu arbeiten und unterstützen sich gegenseitig. Für zusätzliche Angebote bleibt ihnen in der Regel keine Zeit.
In Bildern gesprochen:
Giraffen grasen gemütlich und friedvoll in den Baumkronen. In der Natur nehmen sie 30 kg Nahrung auf; hierfür benötigen sie sechzehn bis zwanzig Stunden. In meinem Klassenraum nehmen sie das tägliche Lernpensum auf und sind damit den ganzen Vormittag beschäftigt.
Typ E – Die Elefanten
Im Leistungsniveau entsprechen die Kinder der Elefantengruppe denen der Giraffengruppe. Auch sie können das Pensum zufriedenstellend bis gut erledigen, wenn sie sich dazu bewegen lassen. Bis sich diese Kinder jedoch von selbst sortiert haben und erste Leistungsbereitschaft erahnen lassen, ist der Rest der Klasse so gut wie fertig. Es bedarf der stetigen Ermutigung und der antreibenden Lernbegleitung, damit diese Kinder ihre Arbeit schaffen können.
In Bildern gesprochen:
Eigentlich hätte ich diese Gruppe gerne die Gruppe der Flusspferde genannt, denn Flusspferde verbringen praktisch den ganzen Tag schlafend oder ruhend. Da ich jedoch kein Bild finden konnte, mit dem sich Kinder freudig identifizieren können, wurde diese Gruppe die Gruppe der Elefanten.
Typ F – Die Strauße
Die Gruppe der Strauße umfasst diejenigen Kinder, denen das Lernen deutlich schwerer fällt. Da sie diese Erkenntnis nicht wahrhaben wollen, sind sie die Meister der Anstrengungsvermeidung. Außerdem fallen sie unangenehm auf durch ihren Hang zur Unaufmerksamkeit und zum Schwätzen. Auch hier bedarf es der stetigen Ermutigung und der antreibenden Lernbegleitung, damit das Tagespensum bewältigt werden kann.
In Bildern gesprochen:
Strauße laufen mit großen Schritten davon, wenn es ihnen unbehaglich wird. Bei Gefahr legen Strauße oft ihren Kopf auf den Sand. Aus der Ferne sieht das aus, als würden sie ihren Kopf im Sand vergraben. In meinem Klassenraum entspricht dieses Verhalten dem bewussten Abtauchen aus dem Unterrichtsgeschehen.
Ebenfalls Typ F – Die Zebras
Die Gruppe der Zebras umfasst meine Kinder, welche durch Integrationskräfte unterstützt werden. Eines der Kinder lernt deutlich langsamer als der Rest der Klasse. Ein AOSF wurde durchlaufen. Mit Blick auf eine längere Verweildauer in der Schuleingangsphase sowie eine Förderung durch die Integrationskraft wurde aktuell kein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt. Das andere Kind verweigert sich dem Unterrichtsgeschehen und hat eine Integrationskraft, da es sich selbst und die anderen stetig gefährdet.
In Bildern gesprochen:
Das Zebra ist ein schönes, auffälliges Tier. Seine Eigenschaften werden sehr unterschiedlich beschrieben. Trotz seiner Nähe zum Pferd ließ es sich nicht domestizierten. Mit meinen Kindern hat das wenig zu tun, es fehlte für die Zuordnung der Gruppe schlicht ein ansprechendes afrikanisches Tier, mit dem sie sich identifizieren können.
Jedes Lebewesen hat seine Stärken und seine spezifischen Schwächen – doch alle gemeinsam machen das gesamte System stabil und unser Klassenafrika lebendig und reizvoll. Jedes Tier hat seine spezifischen Stärken, die es gilt, in seiner Gruppe zu entwickeln und für den Erfolg der ganzen Gemeinschaft nutzbar zu machen.
Die Bilder halfen, für jede einzelne Gruppe eine besondere Aufgabe zu formulieren – einen Auftrag – ein Ziel was jeder einzelne und die gesamte Gruppe erreichen sollte.
Neueste Kommentare